Da haben wir nun 2021, und der Unterschied der Geschlechter ist noch immer nicht vergleichbar mit der Wahrnehmung der Unterschiede, wie z.B. bei der Haarfarbe. In der Politik bleiben die Thatchers und Merkels eine Seltenheit, in der Wirtschaft bekommen Frauen im Schnitt weniger Lohn als wir „Drei-Beiner“, andererseits hält sich im Lifestyle hartnäckig das Gerücht, dass der Mann zum ersten Date initiativ vorgehen muss, so wie finanziell, „in Vorleistung“.
Schön ist, dass wir auch in der Sexualität damit spielen- und dabei irre emotionale Effekte mit der Rolle und deren Symbolen erreichen können. Man nennt diese Spiele: Genderplay. In dieser Kolumne geht es nicht um Transsexualität. Auch wenn es insbesondere auf der Sexarbeit-Anbieterseite sehr viele, z.B. „Shemales“ (Schwanzmädchen) gibt. Das sind Männer, die - teilweise sogar ohne Hormonzugabe - sehr androgyn sind, und mit ihrem Penis oftmals die Kunden aktiv beglücken. Die Nachfrage ist hier viel größer, als ich es seinerzeit erwartet hätte. Allerdings ist dieser Lebensstil ein Bereich, der die spielerische Ebene verlässt, und somit eher mit der langfristigen Identifikation des Geschlechts zu tun hat, so dass er ein eigenes Kapitel füllen würde. Ich möchte lieber darüber sprechen, was uns im Dominastudio passiert: wer kommt zu uns, um sich kurzzeitig feminisieren zu lassen, und warum?
Ich habe mir zur Erstellung dieser Kolumne, Know-how von weiblich (agierenden) Kolleginnen eingeholt. Danke nochmal, an Kristina Marlen, Sara Blume und Kim Wagner. Hintergrund ist, dass der Wunsch nach (Zwangs-)Feminisierung relativ selten an den männlichen Sexarbeiter herangetragen wird, außer als Erfüllungsgehilfe der Kollegin, um die Penetration durchzuführen. Das erscheint auch logisch, denn die Hauptzielgruppe der männlichen Sexarbeiter (schwule Männer), haben bereits in der Pubertät das eine oder andere Mal das Nachthemd der Mutti aus dem Schrank geklaut, und sind damit stolz auf und ab marschiert. Spätestens in der schwulen Comingout-Gruppe wird mal offen rumgetuckt, und nicht selten wird seinen Kumpels ein Frauennamen gegeben. Schwule Männer sind sich, aufgrund ihrer sexuellen Sozialisierung, im hohen Maße ihrer Weiblichkeit bewusst, selbst wenn sie nicht damit spielen oder kokettieren. Anders ist es beim heterosexuellen Mann, denn hier ist das Ausleben seiner weiblichen Seite immer noch eines der größten Tabus. Die zweite Zielgruppe der männlichen Sexarbeiter ist die Frau, da fällt die Feminisierung naturgegeben weg. Allerdings gibt es im lesbischen Kontext eine Menge „Maskulinisierung“ der Damen. Unter uns: es sieht verdammt heiß aus, weil hier auch oftmals gay-Vorbilder dienen. Aber es geht ja um Feminisierung in nem Dominastudio - schauen wir uns das mal an:
Beginnen wir mit den Männern, die eine Feminisierung als Demütigung verstehen, und aus dieser Erniedrigung einen Lustgewinn ziehen. Das ist ziemlich leicht zu begreifen, wenn es auch zeitgleich wahnsinnig paradox klingt. Aber ein Mann, der sich im Minirock und Frauenperücke unwohl fühlt, wird diese Erniedrigung - wie ein Masochist die Schmerzen - nicht als negativ, sondern als positiv wahrnehmen. Praktisch sieht das dann so aus, dass die Frau den Mann zwingt, sich auf (für ihn natürlich wackelige) High Heels zu stellen und ihn dann auszulachen. Das kam bei mir auch schon ein paarmal vor, aber wie gesagt, eher selten. Ich habe dafür öfters den Auftrag bekommen, Männer wegen ihrer Homosexualität herunter zu machen. Selbst wenn klar ist, dass ich selber auch auf Männer stehe, ist es unerheblich bei dieser Form der Demütigung, die im Wesentlichen eine Art „aufarbeitende Sexualität“ darstellt. Es ist eine gewisse Flucht nach vorne, die einen positiven Effekt auf negativ Erlebtes ausübt. Ist aber leider nicht für jeden anwendbar - also bitte, einen Kerl nur dann als „schwanzlutschende Schwuchtel“ betiteln, wenn er das ausdrücklich als Wunsch geäußert hat.
Evtl. ist hier der richtige Zeitpunkt, um mit dem positiven Klischee des Dominus als Therapeut aufzuräumen. Eine Domina und ein Dominus sind per se keine Therapeuten. Ein Therapeut hat die Aufgabe herauszufinden, welche Probleme bei einem vorliegen, und empfiehlt Maßnahmen, um diese zu beheben. Diese Maßnahmen reichen von Erstellung von Tagebüchern, der sportliche Betätigung, bis hin zum Gang zu einem Dominus / einer Domina. Unabhängig davon, ob der Therapeut diese Maßnahmen mittels Therapiesitzungen begleitet, sehe ich meine Arbeit eher als eine der Maßnahmen, die ein Therapeut empfehlen könnte. Ich öffne nämlich lediglich die Ventile, die man mir genannt hat; ich werde nicht gemeinsam mit einem Klienten in seiner Kindheit wühlen, um diese Ventile zu finden. Viele benötigen sowieso keine therapeutische Analyse ihrer Probleme, und wissen selber, was Ihnen guttut. Denn gerade Menschen, die (BDSM-)Sexarbeit in Anspruch nehmen, sind eben zum allergrößten Teil nicht unglücklich. Gerade die BDSM-er sind aufgrund der Besonderheit des sexuellen Empfindens und der damit einhergehenden sexuellen Entwicklung äußerst reflektiert. Etwas, was diese Gruppe mit homosexuellen Menschen gemeinsam haben. Ups, ich schweife ab. Zurück zur Feminisierung:
Das Tragen von Strapsen & Co als Demütigung, steht diametral dem Fetischisten gegenüber: dem Damenwäscheträger (kurz DWT). Wie das Wort „Fetischismus“ auch klar definiert, liegt der Reiz im Gegenstand, d.h., der Mann empfindet Dessous grundsätzlich als sehr reizvoll, jedoch ist die Rolle der Frau hier noch gar nicht so wichtig. Es ist vielmehr eine stärkere Ausprägung des Fetischismus, dass man zum Beispiel die Nylons so heiß findet, dass man diese auch auf seinem eigenen Körper fühlen möchte. Hier ist es manchmal witzig, dass dem DWT sämtliches weibliches Verhaltensmuster entsagt bleibt, sprich: es kommt vor, dass er in Nylons und High Heels umher trampelt wie ein Bauer. Wenn ihm das aber nicht egal ist, und er sich wie eine Frau zu bewegen vermag, oder es gar lernen möchte, spricht man von einem Crossdresser. Ein unabdingbares Kennzeichen eines Crossdressers ist seine Heterosexualität, denn der Begriff entstand, nachdem man in den sechziger Jahren dem schwulen Mann in Frauenklamotten den Ausdruck Transvestit zuwies. Der heterosexuelle Mann wollte seinerzeit einen eigenen Ausdruck für sein weibliches Kleidungsbedürfnis erwerben. Der Crossdresser und der Transvestit haben somit zwar nicht die sexuelle Ausrichtung gemeinsam, aber die Vorliebe für den Verwandlungsprozess. Hier wird dann der Fokus daraufgelegt, auch wirklich „Frau zu sein“, daher können zwar beide auch Fetischisten sein, müssen es aber nicht. Im Spiel ist die Domina nun von außen betrachtet in einer untypischen Rolle, denn es sind nicht Peitsche & Co, sondern Schminktipps gefragt. Gern wird die Verwandlung auch als Zwang kundenseitig gewünscht, denn Zwang entbindet von der Eigenverantwortung, diesen Tabubruch zu begehen.
Eine gesteigerte Form des Transvestiten, bzw. des Crossdressers, ist der Drag, der in der Regel allerdings nicht sexuell begründet ist, sondern dem Ausdruck künstlerischer Inhalte dient. Unangefochtene Platzhirsche sind hier in Berlin Jurassica Parka und Margot Schlönzke.
Drags berichten mir eher darüber, dass die kreierte Persönlichkeit eben nicht sexuell ist. Äußerlich wird mit der – üblicherweise - eh schon überzeichneten Damenfigur, auch mit der Verwandlung an sich gespielt. Die Bilder zur Untermalung dieses Beitrages entstanden in Zusammenarbeit mit der Hamburger Drag-Diva Chantal Chaud.
Eines der spannendsten und kuriosesten Phänomene im Dominastudio ist die Verwandlung von Männern in die so genannte Sissi. Optisch treten die Sissis in der Regel mit Zöpfen, Rüschen und in einer etwas überzeichneten Kind-Frauen-Garderobe auf, sprich: eine Lolita. Und das sieht manchmal schon zum Schmunzeln aus, wenn z.B., ein 50-jähriger, stark beleibter Mann im rosa Tütü und Zöpfchen brav einen Knicks macht, und in dieser Rolle ernsthaft aufgeht. Aber, wenn es dem Mann etwas Positives gibt, dann ist es für mich fein, ihn da zu unterstützen. Die Spiele mit den vorwiegend heterosexuellen Männern in diesem Outfit, konzentrieren sich auf die Erziehung des Mädchens, sind also bereits eine Art Ageplay. Die Spiele können sexuell sein, müssen aber nicht. Vielmehr geht es darum, das Mädchen zu erziehen; es zum Beispiel zu bestrafen - wenn es etwas nicht anständig gemacht hat, dann gibt es ggf. Schläge mit der Gerte auf den „Pillermann“. Die dominante Frau nimmt die Rolle der Mutter oder der strengen Gouvernante ein. Die Sissi ist aufgrund ihrer Infantilität, von den anderen Formen der Feminisierung gut abzugrenzen.
Sehr häufig trifft man in einem Domina Studio auf den Begriff „Zofe“. Gemeint ist eine Figur, die der Adel im Mittelalter in seiner Dienerschaft hatte. Die Zofe ist im Vergleich zu einer Sklavin nicht rechtelos, und sie ist auch nicht infantil wie eine Sissi. Sie begegnet ihrer Herrin oder ihrem Herrn zwar nicht auf Augenhöhe, aber kann mit definieren, wie und wo sie am besten unterstützen kann. Eine Zofe ist in der Regel auch sexuell benutzbar, wenn es gewünscht wird. In der Regel haben alle Formen gemeinsam, dass die „Rolle“ nur für einen kurzen Zeitraum eingenommen wird, und der Klient danach in die ursprüngliche Männerrolle zurückgekehrt. Natürlich kann sich so eine kurzweilige Beziehung vergrößern, und dabei eine ganze Transidentität entdeckt werden, jedoch sind meistens unsere Besucher „Kurzurlauber“.
Im fließenden Übergang von der Zofe gibt es dann die Nutte, Schlampe oder was auch immer einem für Namen einfallen für eine „Frau“, die sich billig hergibt und entsprechend kleidet. Es gibt sicher sehr wenige Frauen, die diesem Bild in der Realität entsprechen, denn diese kleinen „Flittchen“ sollen in Ihrer Wunschwelt bereits ab Hartgeld für ihre (durch die Dominas gespielten) ZuhälterINNEN Gelder einbringen – sprich, in der formvollendeten Opferrolle zu sein. Hier kommen dann auch oft männliche Sexarbeiter ins Spiel, und vögeln kräftig durch. Ich erlebe die Fantasie der „Hure“ auch sehr häufig bei schwulen Männern, die dann aber auch in ihren Rollen als Mann bleiben.
Spannend ist, dass, selbst wenn die Hetero-Jungs - im Fummel - Schwänze lutschen und sich durchficken lassen, sich selber immer noch als heterosexuell fühlen, denn der „Homo-Akt“ wird ja in der Rolle „Frau“ durchgeführt. Das mag den einen oder anderen nun zum Schmunzeln verleiten, aber logisch erscheint es einem doch. In der Regel, wird die - in jedem Dominastudio - größte Kiste, mit der Aufschrift „Strap-ons“ geöffnet, und „Frau" vögelt die Jungs mittels umgeschnallten Plastikdildos selber.
Bei länger angelegtem Genderplay wird auch viel mit Peniskäfigen gearbeitet, die die weibliche Rolle super unterstützen, denn mehr „Entmännlichung“ geht ja eigentlich kaum. Der Mann ist dann - erzwungenermaßen - sexuell aufs Bottom-dasein beschränkt, und die sexuelle „Verantwortungsfreiheit“ wird durch das „nicht-Abspritzen-dürfen“ zusätzlich unterstützt. Es kommt übrigens auch nicht selten vor, dass der Feminisierte selber aktiv sein will, also, die Rolle des Penetrierenden übernehmen möchte. Gerade bei den DWTs ist das sehr häufig der Fall, aber auch bei den Crossdressern und Transvestiten.
Was sind nun die Motive, weswegen Heteromänner zwecks Feminisierung zu Dominas gehen? Nun da gibt es sicher einige. Der bedeutendste Grund ist sicherlich, dass eine Frau, des Hetero-Mannes eigentliche sexuelle Zielgruppe darstellt. Sie gilt gesamtgesellschaftlich - zudem aber auch grundsätzlich - als toleranter und legalisiert somit das „perversen Vorhaben“ des Kunden. Wenn ein Mann nun auf passive Penetration steht, kann er darüber hinaus in der Rolle der Frau, die Penetration auch leichter annehmen, als auch körperlich aufnehmen.
Während der schwule Mann sich in seiner Sozialisation mit der Frau identifiziert, muss man aus Perspektive des Heteromannes den Ansatz verstehen, dass, aufgrund seiner Entwicklung, die Frau als das „schwache Geschlecht“ gilt. Somit ermöglicht ihm ein „Kurzurlaub in der Frauenhülle“ endlich mal das „Schwachsein“. Logisch, dass dann - zusätzlich zur Weiblichkeit - geeignete Rollenbilder, die für Infantilität, Entrechtung oder Missbrauch stehen, zur Steigerung gewählt werden. Denn ein weibliches Opfer zu sein, gibt einem die Möglichkeit von allen Entscheidungszwängen zu fliehen, und sich - konträr zur von der Natur und Gesellschaft definierten „Top-Sexualität“ - mal glasklar als Bottom zu erleben.
…und das ist gut so.
Fotos: © Dominus.Berlin