Eine Stadtführung der besonderen Art, eine Reise in die Vergangenheit und besondere kulturelle Momente und das fernab vom Mainstream und dem Haupttourismus, das ist genau das, was die Besucher in Berlin mit Jeff Mannes aka BerlinGuide erleben. Jeff hat sich einer anderen Seite von Berlin gewidmet und macht diese für seine Teilnehmer sichtbar und erlebbar. Wir haben die Möglichkeit genutzt und dem Tausendsasa einmal einige Fragen zu seiner Arbeit gestellt.

Wer ist Jeff Mannes?

Jeff Mannes ist weit mehr als nur ein Stadtführer und Gründer von BerlinGuide. Er hat sich intensiv mit Themen wie menschlicher Sexualität, Queer Studies und Mensch-Tier-Beziehungen beschäftigt. Seit einigen Jahren lebt er in Berlin, wo er seine Leidenschaft für die soziale und kulturelle Geschichte der Stadt mit seiner beruflichen Laufbahn verbindet. Neben seiner Tätigkeit als Stadtführer ist Jeff auch freiberuflicher Autor, Redner und zertifizierter Sexualpädagoge.

 

 

HiS: Wie bist du auf die Idee gekommen, diese besondere Stadtführung mit Hilfe der Nutzung von „Augmented Reality“ anzubieten?

Die Idee entstand aus dem Wunsch, Geschichte auf eine lebendige und interaktive Weise zu erzählen. Berlin hat eine so reiche und vielschichtige Vergangenheit, besonders in Bezug auf seine Clubkultur, Sexual- und queere Geschichte. Mit der Augmented Reality (AR) App von ZAUBAR können wir diese Geschichten buchstäblich zum Leben erwecken. AR ermöglicht es den Teilnehmern, in vergangene Zeiten einzutauchen und die Orte, die sie besuchen, in einem neuen Licht zu sehen. Es geht darum, ein tieferes Verständnis und eine stärkere emotionale Verbindung zur Stadt und ihrer Geschichte zu schaffen.

 

HiS: Gibt es noch andere Erlebnisse, die in diese Richtung gehen oder genießt du mit deinem Angebot ein Alleinstellungsmerkmal?

In Berlin gibt es bereits einige innovative Stadtführungen. Zum Beispiel gibt es mehrere Stadtführungen zur queeren Geschichte. Mit meinen Stadtführungen zur Sexualgeschichte und zur Clubkultur stehe ich allerdings relativ allein da. Zudem ist die Kombination mit Augmented Reality einzigartig. Mein Angebot hebt sich zusätzlich auch dadurch ab, dass ich pro Tour mit rund 200 Fotos, Videos, Zitaten und Audios wirklich in die Tiefe der Thematik gehe. Dadurch entsteht ein Alleinstellungsmerkmal, das sowohl geschichtliches Wissen als auch modernste Technik vereint.

 

HiS: Warum glaubst du eignet sich Berlin besonders für deine Stadtführung?

Berlin ist eine Stadt mit einer einzigartigen Geschichte und Kultur, besonders wenn es um Sexualität und sexuelle Subkulturen geht. Die Stadt hat eine lange Tradition als Zufluchtsort für kreative und marginalisierte Gemeinschaften. Sie bietet eine unvergleichliche Vielfalt an Clubs, die nicht nur Orte des Feierns, sondern auch der kulturellen und sozialen Auseinandersetzung, sowie der sexuellen Freiheit und des sexuellen Abenteuers sind. Diese lebendige und dynamische Szene macht Berlin zur perfekten Kulisse für eine solche Tour.

 

HiS: Was ist dein Highlight bei jeder Tour?

Ein persönliches Highlight meiner Clubtour ist definitiv der Besuch vom SchwuZ, einem der ältesten und bedeutendsten queeren Clubs in Berlin. Die Teilnehmer haben die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu schauen und die reiche Geschichte dieses Ortes zu entdecken. Bei meiner Tour zur Geschichte der Sexualität ist mein persönliches Highlight der Stopp zur Sexarbeit und Fetischen in den 20er Jahren, besonders weil mich fasziniert, welche Kinks sich in unterschiedlichen Kulturen entwickeln und was in der Sexarbeit dann jeweils angeboten wird. Bei meiner queeren Stadtführung ist mein Highlight der Stopp über Magnus Hirschfeld. Von der Gründung der weltweit ersten Organisation für die Rechte queerer Menschen, über die Entwicklung der ersten wissenschaftlichen Theorien gegen die Geschlechterbinarität bis hin zu den weltweit ersten geschlechtsangleichenden Operationen für trans Menschen: Der jüdische Arzt hat unglaublich viel in den 1920er Jahren für queere Menschen erreicht.

 

HiS: Inwieweit glaubst du, hat sich die Offenheit gegenüber der Sexualität in den letzten Jahren verändert?

Die Offenheit gegenüber Sexualität hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert. Wir erleben eine wachsende Akzeptanz für unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Identitäten, insbesondere in urbanen Zentren wie Berlin. Hier erleben wir auch sozusagen eine „Queerung“ der Heterosexualität: In von queeren Menschen aufgebauten Clubs der sexuellen Freiheit, wie zum Beispiel dem Berghain, entdecken auch cis-heterosexuelle Menschen neue Formen der Sexualität und experimentieren außerhalb der Heteronormativität. Gleichzeitig gibt es aber auch Rückschläge, sei es durch gesellschaftliche oder politische Entwicklungen, insbesondere vorangetrieben durch rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte wie die AfD, oder auch durch den sogenannten „Radikalfeminismus“ um Personen wie JK Rowling oder Alice Schwarzer, die sich gegen Geschlechtervielfalt und erkämpfte sexuelle Freiheiten stellen.

 

HiS: Was glaubst du, für wen ist deine Tour besonders eignet?

Meine Touren richten sich an alle, die ein tieferes Verständnis für Berlins queere Geschichte, Sexualgeschichte oder Clubkultur entwickeln oder eine Tour abseits des Massentourismus erleben möchten. Das schließt sowohl Einheimische als auch Tourist*innen ein, die mehr über die Stadt und ihre subkulturellen Wurzeln erfahren wollen. Besonders geeignet sind die Touren für Forscher*innen und Mitglieder unterschiedlicher Communitys, wie Raver, die LGBTQIA-, BDSM- oder polyamore Communitys.

 

HiS: Welche Berührungspunkte hast du mit der BDSM- bzw. Fetisch-Community und wie nimmst du sie wahr?

Ich habe durch meine Arbeit und mein persönliches Interesse tiefere Einblicke in die BDSM- und Fetisch-Community gewonnen. Diese Szene ist in Berlin sehr lebendig und eng mit der Clubkultur verbunden. Ich sehe die Community als eine wichtige Ausdrucksform von Freiheit und Selbstbestimmung, die oft missverstanden wird. Gegen diese Missverständnisse versuche ich mit meinen Touren anzukämpfen. Aber auch mit anderer Arbeit, wie meiner freiberuflichen journalistischen Arbeit oder meinen Vorträgen, zum Beispiel mein Vortrag zur Entstehung sexueller Fetische am Beispiel von Pet und Puppy Play. Das gefällt nicht allen. Vor Kurzem wurde ein Artikel von mir für queer.lu und queer.de über Kink beim Pride vom rechtspopulistischen Online-Portal Nius bewusst in die Nähe von Pädophilie gerückt, obwohl ich genau das im Artikel entkräfte.

 

HiS: Welche ähnlichen Interessen haben die LGBTIQ-Bewegung und die BDSM-Community?

Beide Gemeinschaften kämpfen für die Akzeptanz und Anerkennung von Lebensstilen, die von der Norm abweichen. Sowohl die LGBTIQ-Bewegung als auch die BDSM-Community setzen sich für sexuelle Selbstbestimmung, Konsens und das Recht auf freie Ausdrucksformen ein. Beide haben auch historische Wurzeln in subversiven Kulturen, die gegen Unterdrückung und Marginalisierung ankämpfen.

 

 

 

HiS: Wer sind deine aktivistischen Vorbilder?

Magnus Hirschfeld. Mit seinem Spruch „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ spricht er mir aus der Seele. Ich glaube an einen wissenschaftlich-kritischen Umgang mit Wissenschaft und der Nutzen daraus für die Wahrheitsfindung und ultimativ für die Erlangung von Menschenrechten. Das bedeutet, dass ich nicht unkritisch jede wissenschaftliche Aussage und Studie blind annehme. Als Sozialwissenschaftler mit Fortbildung in der Wissenssoziologie glaube ich auch daran, dass wir kritisch mit der wissenschaftlichen Produktion von Wissen umgehen müssen, um ungewollte Reproduktion von Vorurteilen und Machtstrukturen auch in der Wissenschaft zu vermeiden. Insbesondere in einem Zeitalter von Desinformation und Fake News ist mir die Rückkoppelung an die Wissenschaft für meinen Aktivismus sehr wichtig.

 

HiS: Gibt es noch weitere Projekte, die du leitest oder in denen du engagiert bist?

Ich arbeite hauptberuflich für ICH WEISS WAS ICH TU (IWWIT), die schwule/queere Präventionskampagne der Deutschen Aidshilfe. Daneben schreibe ich freiberuflich zu ähnlichen Themen, zum Beispiel für das SIEGESSÄULE Magazin oder für Medien in meinem Herkunftsland Luxemburg.

 

HiS: Welches besondere Ziel möchtest du mit deiner Arbeit als Sozialwissenschaftler der Sexualität erreichen?

Mein Ziel ist es, ein tieferes Verständnis für die vielfältigen Ausdrucksformen von Sexualität und Geschlechtsidentität zu fördern. Ich möchte dazu beitragen, dass marginalisierte Geschichten gehört werden und dass wir eine Gesellschaft schaffen, in der alle Menschen frei und ohne Angst vor Diskriminierung leben können.

 

HiS: Hast du schon Ideen für zukünftige Touren?

Ich arbeite aktuell an meiner „Kinky Berlin Tour“, eine neue Stadtführung, die sich um die sex-positiven Clubs und Partys in Berlin dreht. Highlights davon werden Backstage-Besuche vom Insomnia-Club, sowie des Atriums sein, dem neuen Domina- und Bizarrstudio in Berlin, das im Herbst 2024 eröffnet hat und das größte seiner Art in der Stadt sein wird.

 

Das Interview wurde per Mail geführt, vielen Dank für die ausführlichen Antworten.

 

Fotos: © Jason Harrell

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