Unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, Staatsangehörigkeit und politischer Überzeugung erhalten Opfer von Kriminalität beim Weissen Ring schnelle und direkte Hilfe. Damit auch möglichst viele Menschen von dieser Möglichkeit erfahren, wie die Hilfe aussieht, wo man diese erhält und in welchen Fällen man sich an den Weissen Ring wenden kann, haben wir einmal für euch direkt nachgefragt.

 

Was ist der Weisse Ring?

„Wir helfen Kriminalitätsopfern.“ Das ist die Aufgabe der Organisation Weisser Ring, die 1976 für den Opferschutz ins Leben gerufen wurde und der sich der Verein widmet. Sie unterstützen Opfer von Kriminalität und versuchen Straftaten zu verhüten. Mit Hilfe von Prävention und Aufklärung soll mehr Schutz geboten werden. Falls es dann aber doch zu einer Gewalttat kommt, steht schnelle Hilfe und Unterstützung bereit. Hier kannst du dir die Arbeit genauer ansehen und selbst Hilfe erhalten: Weisser-Ring.de

 

HiS: Ihre Organisation hilft, wenn man Opfer von Kriminalität und Gewalt geworden ist, was für Situationen sind dies zum Beispiel, dass Ihre Organisation dafür zuständig ist?

Die Situationen, in denen der Weisse Ring Betroffenen hilft, können sehr vielfältig sein. An uns wenden sich Personen, die zum Beispiel eine Körperverletzung erlitten oder häusliche Gewalt erfahren haben. Auch Stalking, Mobbing oder Trickdiebstahl sind Situationen, in denen wir Betroffenen oder deren Angehörigen Unterstützung anbieten.

 

HiS: Ab wann ist eine Situation ein sexueller Übergriff und sollte nicht geduldet werden?

Man muss zwischen dem Straftatbestand nach § 177 Abs. 1 Strafgesetzbuch und dem sexuellen Übergriff in unserem Alltagssprachgebrauch unterscheiden. Im Strafgesetzbuch ist klar definiert, was einen sexuellen Übergriff darstellt und welches Ausmaß an Strafe zu erwarten ist. Grundsätzlich findet ein sexueller Übergriff dann statt, wenn gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person gehandelt wird. Das fängt bei anzüglichen Blicken und sexistischen Bemerkungen an, entwickelt sich über das ungefragte Berühren oder virtuelle Nachstellen bis hin zur sexuellen Gewalt in Form von Vergewaltigungen. Auch das Zwingen der Betrachtung von Pornographie stellt sexuelle Übergriffigkeiten dar. Es sollte in keinem Fall geduldet werden, wenn eine Person ohne ihre Einwilligung und gegen ihre sexuelle Selbstbestimmung gezwungen wird, eine sexualisierte Handlung aushalten zu müssen.

 

HiS: Was sind die ersten Schritte, die man tun sollte, wenn einem solch eine Situation widerfahren ist?

Da es eine Vielzahl verschiedener Sexualdelikte gibt, ist das nicht so leicht zu beantworten. Im Wesentlichen sollten Betroffene sich zeitnah Unterstützung suchen. Das ist jedoch leichter gesagt als getan, weil gerade im Bereich der Sexualstraftaten ein unheimlich hohes Scham- und Schuldbewusstsein vorherrscht.

Das ist mitunter gesellschaftlich bedingt und wir haben, wenn es um sexuelle Gewalt gegen Frauen geht, immer noch nicht alte Vorurteile überwunden, die beispielsweise darauf abzielen, dass die Kleidung einer Betroffenen ursächlich für ein Sexualdelikt ist. Im Bereich von Sexualdelikten gegen Männer herrschen alte Klischees vor, die mitunter so fest in den Köpfen betroffener Männer verankert sind, dass diese sich kaum wagen, mit ihrem Leid sichtbar zu werden. Und im Bereich der Sexualdelikte gegen Kinder fällt es uns immer noch schwer, den sozialen Nahbereich als Haupttatort anzuerkennen.

Gerade im Bereich der Sexualdelikte ist ein frühzeitiges Handeln sinnvoll, etwa wenn es um das rechtssichere Sichern von Spuren geht. Bei Sexualdelikten steht häufig allein die Aussage der Betroffenen gegen die der tatausübenden Personen, da können weitere belastbare Beweise helfen! Für Betroffene selbst, das wissen wir aus einer Vielzahl wissenschaftlicher Studien, steht die Aufarbeitung des Erlebten im Vordergrund. Das Erleben sexualisierter Gewalt kann bei Betroffenen eine Vielzahl von psychischen Symptomen auslösen und natürlich auch psychisch krank machen. Hier gilt, je früher sich Betroffene professionelle Hilfe suchen, desto größer die Chance, dass sich psychische Symptome nicht verfestigen, chronifizieren oder zu einer Erkrankung führen. Eine Sexualstraftat stellt ein traumatisches Ereignis dar und kann im schlimmsten Fall zur Ausbildung einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen, die wiederum die Lebensqualität der Betroffenen massiv beeinflussen kann.

 

HiS: Sind die meisten Opfer tatsächlich Frauen oder gibt es auch Männer, denen dies geschieht?

Leider kann Gewalt und Kriminialität jede Person, unabhängig vom Geschlecht, treffen. Wir betreuen männliche Opfer genauso wie weibliche, in der Tat ist es aber so, dass rund Drei viertel aller Betroffenen, die sich an den WEISSEN RING wenden, Frauen sind. Allein deshalb kann jedoch nicht unmittelbar der Schluss gezogen werden, dass mehr Frauen Opfer von Gewalt sind als Männer, da sich nicht alle Betroffenen beim Weissen Ring melden.

 

 

 

HiS: Welche Möglichkeiten hat man mit Ihnen in Kontakt zu treten, geht dies auch anonym?

Eine anonyme Kontaktaufnahme ist über unser Opfer-Telefon oder unsere Onlineberatung möglich. Unser kostenfreies Opfer-Telefon kann täglich von 7 bis 22 Uhr unter der Nummer 116 006 erreicht werden. Im Gespräch mit professionell geschulten ehrenamtlichen Beraterinnen und Beratern am Telefon erhalten Betroffene hier Unterstützung und Orientierung. Unsere kostenfreie Onlineberatung kann über unsere Webseite www.weisser-ring.de erreicht werden. Anfragen werden innerhalb von 72 Stunden beantwortet und verschlüsselt gespeichert, sodass die Anonymität der anfragenden Betroffenen in jedem Fall gewahrt ist.

Über unser Opfer-Telefon und unsere Onlineberatung stehen wir Betroffenen gerne im ersten Schritt zur Seite und unterstützen als Lotse im Hilfesystem bei der Suche nach einer passenden Beratungsstelle. Gerne können sich Betroffene auch an unsere Außenstellen vor Ort wenden – hier ist aber ein persönliches Gespräch und die Aufnahme der persönlichen Daten notwendig, damit das volle Hilfesystem des WEISSEN RINGS greifen kann.

 

HiS: Wie geht es weiter, nachdem man sich getraut hat, sich bei Ihnen zu melden?

Wenn sich eine Person bei einer Außenstelle beim Weissen Ring meldet, wird der Fall so zügig wie möglich an eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter vermittelt. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter kontaktiert die Betroffene oder den Betroffenen per E-Mail oder telefonisch, um einen ersten Kontakt herzustellen und die nächsten Schritte zu besprechen.

Eine Beratung kann dann ganz individuell gestaltet werden, etwa telefonisch, in einem persönlichen Gespräch oder per Videocall. In der Regel verabreden sich beide zu einem persönlichen Gespräch, zu dem die betroffene Person auch eine Begleitung mitbringen kann. Das Gespräch kann am Wohnort der betroffenen Person stattfinden, oder in neutralen Räumlichkeiten. Einige Außenstellen des Weissen Rings haben auch eigene Räumlichkeiten, in denen man sich verabreden kann.

Im Gespräch wird dann gemeinsam überlegt, welchen Hilfsbedarf die betroffene Person hat, und auf welche Art und Weise der Weisse Ring Unterstützung leisten kann. Oftmals ist eine anwaltliche Beratung sinnvoll, dann kann der Weisse Ring einerseits bei der Suche nach einer geeigneten Anwältin oder Anwalt helfen und außerdem einen sogenanten „Rechtsberatungscheck“ ausstellen, der die Kosten des ersten Beratungsgespräch mit der Anwältin oder dem Anwalt deckt. Ist eine psychotherapeutische Betreuung notwendig, kann auch hier bei der Vermittlung an eine Therapeutin oder einen Therapeuten oder an eine Traumaambulanz geholfen werden.

Der Weisse Ring kann außerdem mit sogenannten „Soforthilfen“ in materieller Hinsicht unterstützen, wenn Betroffene unmittelbare finanzielle Unterstützung benötigen, zum Beispiel bei durch die Tat entstandenen erforderlichen medizinischen Eingriffen die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, bei Einbrüchen und anschließenden Sicherungsmaßnahmen oder gestohlenen Geldbörsen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Weissen Ring können Betroffene außerdem bei Bedarf zu Terminen bei Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht oder sonstigen Behörden begleiten und allgemeine Hilfestellungen im Umgang mit Behörden geben. Wir weisen Betroffene außerdem auf weitere Hilfsmöglichkeiten hin, etwa auf Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz bzw. aus dem SGB XIV, oder Stiftungen, die Opfer finanziell unterstützen können und helfen bei Bedarf mit der Bearbeitung von Anträgen.

 

HiS: Wie kann ich helfen und sollte mich verhalten, wenn nicht ich persönlich das Opfer bin, sondern zum Umfeld eines Opfers gehöre?

Wenn du mitbekommst, dass es in deinem Umfeld zu Gewalt kommt, ist es ratsam sich Unterstützung zu suchen, um nicht alleine mit dieser unter Umständen sehr belastenden Situation zu sein. Du kannst beispielsweise eine vertraute Person ansprechen und ihr von der Situation berichten. Gemeinsam nächste Schritte zu besprechen ist oftmals leichter als allein. Wenn es die Umstände zulassen, kannst du auch die betroffene Person um ein vertrauliches Gespräch bitten und ihr deine Hilfe anbieten. Wichtig ist, behutsam vorzugehen, Hilfe zwar anzubieten, dieser allerdings nicht aufzudrängen. Abhängig von der Situation ist es dann wichtig, sich Hilfe von Außen, z.B. bei Beratungsstellen zu holen, im Ernstfall auch die Polizei einzuschalten. Dies sollte jedoch nur mit Einwilligung der oder des Betroffenen geschehen, es sei denn es besteht eine akute Gefährdungslage.

 

 

 

HiS: Wenn Sie körperliche und psychische Gewalt differenzieren, welche Form der Gewalt kommt aktuell häufiger vor?

Das kann man nicht genau sagen, weil die psychische Gewalt an sich keinen Straftatbestand darstellt, sondern „verdeckt“ durch andere strafbare Handlungen (etwa die Nachstellung oder die Bedrohung) ausgeübt wird. Somit ist es schwer, Fälle reiner psychischer Gewalt in den Kriminalstatistiken abzubilden, was einen Vergleich im Auftreten zwischen physischer und psychischer Gewalt unmöglich macht. Deswegen ist in diesem Bereich von einem sehr großen Dunkelfeld auszugehen. Eine Trennung beider Gewaltformen ist überdies schwierig, weil sie häufig „Hand-in-Hand“ gehen. Das ist insbesondere im Bereich der Partnerschaftsgewalt zu beobachten, wo neben der körperlichen Gewalt auch emotionale oder psychische Druckmittel gegen die Betroffenen eingesetzt werden.

 

HiS: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der digitalen/medialen Darstellung von BDSM (z.B. durch Pornos, Filmen oder Büchern) und dem Anstieg von nicht gewollter, körperlicher Gewalt?

Insgesamt gibt es wenig Forschung zu dieser Fragestellung. Der Konsum alleine wird kein ausschlaggebender Faktor sein, sondern ist immer im Zusammenhang mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften und Moralvorstellungen von Täterinnen und Tätern und Betroffenen zu sehen. Es gibt Studien, die einen Zusammenhang zwischen feindseliger Maskulinität (hostile masculinity), Promiskuität und dem Konsum von hartem pornographischem Material gefunden haben – das sogenannte Konfluenzmodell der sexuellen Aggression (confluence model of sexual aggression).

Nicht nur neigten junge Männer mit einem höheren Feindseligkeitspotential und promiskuitivem Verhalten zum Konsum von pornographischem Material mit deutlich höherer Gewaltdarstellung, sondern haben auch ein höheres Risiko selbst sexuell gewalttätig zu handeln. Dem gegenüber zeigten junge Frauen, die härteres pornographisches Material konsumierten, sexualisierte Gewalt häufiger an oder berichteten von dieser. In einer sehr aktuellen, jedoch theoretischen Studie wird die Frage nach dem möglichen Zusammenhang zwischen BDSM-geprägter Sexualität als unbewusstem Verarbeitungsmechanismus von erlebter sexueller Gewalt in der Kindheit diskutiert.

 

HiS: Haben Sie Ratschläge zu Präventionsmaßnahmen, um ungewollte Übergriffe speziell in Bezug auf BDSM zu vermeiden?

Bei sexuellen Übergriffen haben wir es mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun, welches noch begünstigt wird, wenn Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit in der Bevölkerung fehlen. Der öffentliche Diskurs über sexuelle Belästigung und verwandte Themen verändert sich zwar (#metoo-Bewegung), indem sich stärker dagegen ausgesprochen und genauer hingeschaut wird, aber an dieser Entwicklung müssen wir alle teilhaben. Hier ist jeder/jede einzelne von uns gefragt, einen Beitrag zu leisten, sei es in Form von Zivilcourage mit den Betroffenen zeigen oder der Beteiligung an Debatten zum Thema Einvernehmlichkeit innerhalb der BDSM-Szenen.

Mit Blick auf die Prävention von sexuellen Übergriffen in Bezug auf BDSM muss die Sicherheit und das Wohlbefinden aller Beteiligten gewährleistet sein. Wichtig ist eine offene Kommunikation über Erwartungen und Wünsche, besonders Grenzen sollten klar definiert werden. Aktivitäten müssen auf Konsens bzw. dem Prinzip einer informierten Einvernehmlichkeit basieren. Einen weiteren hilfreichen Ansatz stellt die Aufklärung über den Gewaltbegriff, die Formen und Dimensionen sowie die Folgen von Gewalt dar.

Ziel ist es, allen Beteiligten Handlungssicherheit zu vermitteln. Das kann zum Beispiel mit der Auswahl eines vertrauenswürdigen Partners/Partnerin, gemeinsamen Vorgesprächen, der Zustimmung zu einem Verhaltenskodex und dem Verwenden von Safewords erreicht werden. Hilfreich ist, sich vorab über BDSM-Praktiken, Sicherheitsmaßnahmen, psychologische Aspekte und eine angemessene Nachsorge (z. B. emotionale Unterstützung) zu informieren, um ein besseres Verständnis von BDSM zu entwickeln und um mit entsprechenden Maßnahmen Risiken minimieren zu können.

Gleichzeitig sollte bei erlebter Grenzüberschreitung sichergestellt sein, dass (potenziell) Betroffene wissen, wo sie Hilfe und Unterstützung erfahren. Nur wer weiß, wo er Hilfe bekommt und an wen er sich wenden kann, hat das nötige Werkzeug, mit der Situation umzugehen.

 

Dieses Interview wurde per Mail geführt, vielen Dank für die ausführlichen Antworten und die Zeit, die sich die Mitarbeiter:innen für uns genommen haben.

 

Fotos: © Weisser Ring / pexels

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