Man liebt den eigenen Partner, doch man hat keine sexuelle Lust auf ihn. Generell stellt sich die Frage, wie und was ist denn diese Lust?
Ist sie immer gleich? Was sind denn die eigenen Vorlieben? Wer sich solche Fragen stellt, ist bei Claudia Elizabeth Huber genau richtig. Wir haben der Sex-Psychologin und frischgebackenen Autorin aus Stuttgart einmal ein paar Fragen diesbezüglich gestellt.
Wer ist Claudia?
Claudia Elizabeth Huber, Diplom Psychologin, beschäftigt sich seit ihrer frühen Jugend intensiv mit den Themen Sexualität und optimaler Arbeitsumgebung. Als Coach und Trainerin gibt sie ihren Wissensschatz und Erfahrungen verstandes- und erlebnisorientiert weiter. Ihr Herz schlägt für die Wiederentdeckung pragmatischer und individueller Wege der Sexualität.
Mehr auf: www.claudia-elizabeth-huber.de
HiS: Wie bist du denn selbst dazu gekommen Sex-Psychologin zu werden?
Es gab keinen Moment, zu dem ich dachte „Wow – das ist mein Traumberuf!“. 2013 startete ich damit, weil ich ein professionelles Angebot machen wollte, das Menschen mit ihren sexuellen Fragen, Sorgen und Problemen hilft. Und ich wollte damit Leuten Mut machen, dass Sex sich entwickeln kann.
HiS: Häufig kommt es mit zunehmender Länge der Beziehung zu Frustration oder totaler Flaute im Bett. Worin siehst du hierfür mögliche Gründe?
Es gibt viel Gründe, wieso es dazu kommt. Zum einen sind es schlicht und ergreifend hormonelle Gründe. Denn der Hormoncocktail, der uns dazu bringt, ständig übereinander herzufallen, wandelt sich und wir haben eher einen Hormoncocktail, der Bindung unterstützt. Die beiden Zustände sind per se nicht unbedingt miteinander vereinbar.
Außerdem ist Gewöhnung eine Ursache: Was wir am Anfang aufregend finden, wird irgendwann zur Routine. Das kann die Lust dämpfen, selbst wenn der Sex grundlegend solide oder sogar gut ist.
Oft ist es auch ein Mangel an Kommunikation – damit meine ich nicht das organisatorische Abstimmen, sondern die Gespräche, die uns einander näherbringen. Wir glauben allzu häufig, unsere*n Partner*in in und auswendig zu kennen. Das ist allerdings ein Trugschluss.
Und fast immer kommt auch eine Form des Zurückgewiesen oder Nicht-Gesehen-Gefühls dazu. Das muss noch nicht einmal aus dem sexuellen Kontext stammen. Es sind eher Alltagsdinge, die den Frust auslösen.
HiS: Derzeit befinden wir uns leider noch immer im Pandemie-Geschehen. Hatten die vergangenen zwei Jahre auch irgendwelche Auswirkungen auf die sexuellen Probleme der Menschen?
Es gibt noch nicht so viele Daten dazu. Meiner Einschätzung nach wird die Pandemie das Sexleben der Menschen mehr beeinflussen, die sich nun täglich gesehen haben. Auch Kinder im Haushalt haben das Sexleben in der Pandemie beeinflusst.
Ganz abgesehen davon, dass Menschen in Stresssituationen tendenziell die Lust auf Sex verlieren.
Es wird also viele Menschen geben, deren Sexleben aus unterschiedlichen Gründen unter der Pandemie gelitten hat.
Bei Paaren, deren Sexleben aus Zeitmangel leidet, hatte die Pandemie am Anfang einen positiven Effekt.
Gerade im letzten Jahr konnte ich eher beobachten, dass Menschen emotional sehr überlastet waren, weshalb auch Partnerschaften darunter litten und damit auch das Sexleben.
Was jedoch tatsächlich in der Masse passiert ist, wird sich erst dann zeigen, wenn wir in der Retrospektive draufschauen.
HiS: Wenden sich im Schnitt mehr Frau, Männer oder Paare an dich?
Meistens wenden sich einzelne Personen an mich, die jedoch in einer Partnerschaft sind. Dabei sind ca. 60% weiblich und 40% männlich. Es ist durchaus häufig so, dass irgendwann der Partner oder die Partnerin dazu kommt. Das kommt jedoch sehr darauf an, worum es in den Beratungen geht. Ich bin eine Freundin davon, den/die Partner*in zum Verbündeten zu machen, wo das möglich ist.
HiS: Seit wenigen Wochen ist dein Buch „Endlich lustvoll“ erhältlich und es wirkt, wie ein sehr besonderes Projekt! Kannst du uns sagen, was „Endlich lustvoll“ so einzigartig macht?
Endlich lustvoll ist ein Kursbuch für Frauen, die sich ihre Lust entdecken oder zurückerobern wollen. Es entstand aus der Einzelarbeit mit Klientinnen, die über Unlust klagten. Über die Zeit sind mir Parallelen aufgefallen – zum Beispiel die Tatsache, dass Lust in Partnerschaften oft von der anderen, der lustvollen Person definiert wird. Aus diesen Beobachtungen habe ich ein Gruppencoaching entwickelt, das ich über vier Jahre verbessert habe. Nun habe ich die Übungen und die Informationen, die vielen Frauen fehlen, in einen Selbstlernkurs umgebaut. Das Besondere ist, das man ein eBook erhält, das die Inhalte kurz und knapp erläutert und zu jedem Kapitel Übungen und Reflexionsfragen bietet, um nicht nur trockene Theorie zu lesen, sondern wirklich mit sich selbst zu arbeiten. Wer mehr möchte, bekommt dazu Videos, die alles noch ein wenig ausführlicher beschreiben und eingesprochene Fantasiereisen.
Ziel ist es, dass sich die Frau, die das Buch durcharbeitet, tatsächlich am Ende ihre Lust viel besser kennt und sie erkennt, dass ihre Lust, kein Zufallsprodukt ist oder etwas, das von ihr losgelöst ist. Lust ist individuell und hat sehr viel mit einem selbst zu tun!
HiS: Woran liegt es deiner Meinung nach, dass so viele Menschen sich nie wirklich mit einer eigenen Lust auseinandergesetzt haben?
Lust ist kein Gesprächsthema und es wird nie vermittelt, dass es etwas ist, das man entdecken kann. Wir bekommen alle vermittelt, dass es etwas ist, das man hat oder eben nicht hat. Und die Bilder, die wir von Lust vermittelt bekommen, sind in vielen Fällen uniform. Wer sich darin nicht wiedererkennt, kommt zum Schluss, dass mit ihm oder ihr etwas nicht stimmt oder, dass einem die Lust einfach „vergessen“ hat.
Sex ist außerdem immer noch kein Breitenthema. Es ist immer noch mit Urteilen und Bewertungen überladen. Entweder wird es sehr klinisch besprochen oder super anzüglich. Wer kinky ist, wird gefeiert oder als pervers bezeichnet, wer keine absolut definierbare Vorliebe hat, empfindet sich oft als langweilig oder definiert, dass er oder sie noch nicht weiß, was er oder sie im Bett mag.
Bewertung verhindert oft, dass wir uns absolut entspannt und ergebnisoffen mit unserer Lust befassen. Denn häufig stehen Menschen unter Performance-Druck oder haben Zielbilder in ihrem Kopf, wie der „perfekte“ Lust-Ausdruck sei. Angst, bewertet und abgewertet zu werden, verhindert die Experimentierfreude.
HiS: Viele Frauen scheinen Sex nur als „notwendiges Übel“ zu betrachten. Was könnten Gründe dafür sein?
Ganz oft wird Sex in Beziehungen zu einem weiteren Punkt auf der To-Do-Liste. Das killt bei vielen Frauen die Lust. Vor allem dann, wenn der Sex und die Anbahnung sehr routiniert und langweilig sind. Viele Frauen, mit denen ich gearbeitet habe, hatten durchaus Lust auf Sex, nur nicht mehr mit dem eigenen Partner.
Man sollte jedoch auch sehen, dass es generell Menschen gibt, für die Sex keine große Priorität hat. Das trifft Männer ebenso wie Frauen. Sex ist dann ein nettes Ad-on, aber kein zwingendes Muss. Wie viel Spaß und Lust eine Person hat, hat mit der individuellen Persönlichkeit, mit der Lebenssituation und mit der Sozialisierung zu tun. Sehr prägend sind da vor allem auch die Jahre in der Pubertät. Je nachdem, wie man in dieser Zeit mit dem Thema erlebt, kann das lange nachklingen. Viele Frauen erleben Sex in dieser Zeit eher als beängstigend. Oft, weil es an entsprechenden Ansprechpersonen fehlt, weil Eltern nicht die geeignete Umgebung bieten, weil sie Angst vor ungewollter Schwangerschaft haben.
Außerdem darf nicht vergessen werden, dass jede 3. Frau sexuelle Übergriffe in der Kindheit erlebt. Im Erwachsenenalter geben 3 von 4 Frauen an, dass sie bereits sexuell belästigt wurden. Das spielt sicherlich immer noch eine große Rolle.
HiS: Auf deiner Website erzählst du, wie du dich mit 16 Jahren aufgemacht hast, um zu definieren, wer du bist und wie du leben willst. Kannst du uns genauer erzählen, was du für dich herausgefunden hast?
Mittlerweile ist mein Stand, dass ich mich in sehr vielen Lebensentwürfen wiederfinden und auch wohlfühlen kann. Für mich bleibt dabei Selbstbestimmung ein hoher Wert. Deshalb würde ich – Stand heute – wohl nie heiraten, Kinder bekommen oder eine 24/7 Beziehung führen. Ich bin niemand, die sich schnell verliebt oder sich mal spontan an jemand bindet. Sex und Berührungen sind für mich keine exklusiven Sachen, aber ich mag es nur mit und von Menschen, die ich mag und bei denen das Verhältnis für mich klar ist. Sonst halte ich mich lieber körperlich entfernt von Menschen. Ich kann sehr viele Lebensentwürfe nachvollziehen und in Sachen Sex kann ich wirklich sehr neutral zuhören und habe eher ein Interesse daran, die andere Person zu verstehen.
HiS: Gibt es deiner Meinung nach auch Paare, die in Sachen Sex einfach nicht kompatibel sind, oder gibt es immer rettende Ratschläge?
Klar gibt es Menschen, die sexuell nicht kompatibel sind. Ich beschreibe es oft so, dass jeder Mensch einen sexuellen Radius hat. Überschneiden die sich bei zwei Menschen, treffen sich die beiden in der Schnittmenge. Doch es gibt auch Menschen, deren sexuelle Radien sich nicht einfach so überschneiden. Man kann sich zwar immer in gewisser Weise aufeinander zubewegen, doch je weiter man auseinander ist, desto anstrengender kann das sein und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide den Sex als erfüllend empfinden.
HiS: Möchtest du den Leserinnen und Lesern, die sich derzeit auch mit ihrer Sexualität auseinander setzen vielleicht den ein oder anderen Tipp mit auf den Weg geben?
Versucht offen für das zu sein, was ihr empfindet. Es ist okay, wenn man etwas nicht gut findet. Es ist aber auch okay, etwas gut zu finden, was man sich bisher nicht vorstellen konnte. Lernt Grenzen für euch zu definieren. Lieber einmal ein bisschen enger und die dann nach und nach lockern, als sie zu weit zu machen und sich zu überfordern.
Es gibt für vieles Bücher und Kurse: lest und schaut Dinge an. Probiert sie aus. Aber haltet nicht alles für die Wahrheit oder „DAS Richtige“. Wenn etwas für dich toll ist, muss es das für andere nicht sein. Sollte etwas für dich scheiße sein, dem anderen gefällt es jedoch, dann musst du dich nicht dahin „entwickeln“, sondern kannst einfach nein sagen.
Such dir Menschen, mit denen du dich austauschen kannst. Das ist wichtig. In deinem eigenen Kopf bleibst du in deinen eigenen Gedanken hängen.
Und das wichtigste: Was du mit einer Person magst, magst du mit einer anderen Person vielleicht nicht. Was du heute super findest, musst du vor 5 Jahren nicht super gefunden haben und musst es auch in 5 Jahren nicht toll finden.
Wir verändern uns ständig. Und auch unser Sex- und Lustleben verändert sich mit der Zeit. Das ist völlig normal. Gerade in Partnerschaften ist das wichtig zu wissen, damit ihr euer gemeinsames Sexleben pflegen könnt und nicht so verbittert seid, wenn der Rausch des Anfangs vorbei ist.
Bleibt neugierig!
Das Interview wurde per Mail geführt, vielen Dank für die ausführlichen Antworten.
Foto: © Andrea Maucher - Farb- und Stilvoll