Ich kann mich noch genau an den Abend erinnern. Franzi, Marie und ich saßen bei mir im WG-Zimmer, im TV liefen die Nachrichten. Es wurde von der Flucht der Natascha Kampusch berichtet. 3096 Tage in einem Verließ. Sie hatte überlebt, war geflohen. Franzi konnte nicht an sich halten. Regte sich darüber auf, bemitleidete die Zurückgekehrte. „Stellt euch das mal vor, die ganze Zeit eingesperrt. Womöglich gefesselt. Du weißt nicht, was mit dir passiert. Bist völlig ausgeliefert. Ich würde verrückt werden. Das arme Ding.“

Franzi quasselte und quasselte wie es ihre Art war, doch als ich Marie anschaute, war irgendetwas mit ihr passiert. Maries Augen leuchteten seltsam, gefolgt von einem stumpfen Blick zurück in die Realität. Dann verlief der Abend wie gewöhnlich weiter. Wir quatschten, zeigten uns Outfits, lachten und knabberten Süßkram bis Franzi nach Hause musste. Fit für die Klausur am nächsten Tag sein oder so ähnlich, lautete die Begründung. Als ob, aber nun gut.

 

Ein Dunkles Geheimnis im Inneren

Zurück blieben Marie und ich und mir fiel Maries Blick wieder ein. Irgendetwas war in diesem Moment mit ihr geschehen. Sie war weit weg gewesen in Gedanken. Vorsichtig erinnerte ich sie an den Moment. „Deine Augen haben geheimnisvoll geleuchtet. Du hattest so ein Lächeln im Gesicht.“  Marie schaute mich erstaunt an. „Geleuchtet?“ Ich bestätigte sie und wollte das dunkle Geheimnis wissen. Doch plötzlich liefen Marie Tränen über das Gesicht, sie begann zu schluchzen, konnte gar nicht mehr aufhören. „Ich glaube ich bin nicht ganz normal. Mit mir stimmt Etwas nicht!“

Vermutlich muss ich ganz schön verwundert geschaut haben, aber mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Ich nahm Marie in den Arm, tröstete sie, sagte es sei alles gut. „Ich meine es ernst, mit mir stimmt wirklich Etwas nicht!“, sagte sie plötzlich in sehr ernstem Ton als sie mich anschaute.  „Du wirst mich sicherlich auch gleich für völlig verrückt halten. Aber kannst du dich erinnern, was Franzi gesagt hat? Nicht zu wissen, was passiert. Ausgeliefert sein. Womöglich gefesselt.“ Ich nickte. Ich hatte Franzis komplette Aufregung wieder im Ohr. „Ich glaube ich wäre dabei nicht verrückt geworden...“, sagte Marie ganz leise. „Wie meinst du, du wärst nicht verrückt geworden?“ „Franzi meinte doch, sie würde dabei durchdrehen, doch wenn ich daran denke ....“ Maries Wangen wurden rot. Und da war es wieder, das geheimnisvolle Funkeln in ihren Augen.

 

Du bist nicht allein

„Ich finde das irgendwie aufregend. Weißt du, was ich meine? Mich macht das an! Ich sollte mich auch darüber aufregen, es beängstigend finden, doch ich überlege, was wäre, wenn ich das wäre. Wenn mich jemand fesseln würde. Wenn ich nicht wüsste, was mit mir passiert. Und ich habe keine Angst....“, ihre Wangen gewannen weiter an Farbe. „Mich macht der Gedanke einfach nur an, ich wünschte, mit mir würde das jemand tun. Das ist doch nicht normal. Ich bin doch völlig krank.“ Ich nahm Marie in den Arm, lächelte, steichelte ihr über die Wange. „Nein, mit dir ist alles in Ordnung! Herzlich willkommen in meiner Welt!“

Maries Augen wurden groß. Und ich erzählte Marie, was es mit meinem älteren Freund auf sich hatte, der nie mit auf Partys kam, der nie bei irgendeiner Veranstaltung erschien, den ich aber regelmäßig übers Wochenende besuchte und dem ich für seine Aufmerksamkeit, die er mir schenkte, unendlich dankbar war.

 

Foto: © pixabay

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