Es ist die Grundlage, der Anfang, das Ideal … „Die Geschichte der O“ hat den Grundstein für das heutige Verständnis des BDSM in der westlichen Welt gelegt. Obwohl fast 70 Jahre alt hat das Werk bis heute seinen Reiz nicht verloren. Erst im vergangenen Jahr erschien das Meisterwerk der Erotik mit der Fortsetzung „Rückkehr nach Roissy“ in einem Band. Allerdings werde ich hier nur den Weltbestseller besprechen und damit dem Wunsch der Autorin nachkommen, die darum bat die Fortsetzung als eigene Geschichte zu betrachten.
Nur wenigen ist die Entstehung der Erzählung bekannt. Unter dem Autorenpseudonym Pauline Réage erschien die „Geschichte der O“ in den fünfziger Jahren in Frankreich und sorgte dort für großen Aufruhr. Der Inhalt des Werkes war pikant und dennoch nicht obszön und es entstand eine Diskussion, ob dieses Werk aus der Feder eines Mannes oder einer Frau stamme. Schrieb es ein Mann, der sich wünschte, dass eine Frau so empfinden würde? Oder schrieb es eine Frau, die zeigen wollte, welch verborgenen Wünschen in einer Frau schlummern. Wie sehr sie unter der Oberfläche brennt, obwohl sie nach außen kühl und distanziert wirkt.
Die „Geschichte der O“ ist ein Liebesbrief auf knapp 200 Seiten. Denn die Autorin verfasste das Werk, um die Aufmerksamkeit des Kritikers Jean Paulhan zu erhalten, in den sie heimlich verliebt war. Der Plan gelang. Auch in der jetzigen Ausgabe ist sein Kommentar zum Werk abgedruckt. Doch warum hat das Werk bis heute Auswirkungen?
Das Werk ist mit Sicherheit kein Groschenroman, den man zwischen Tür und Angel liest. Die Sprache ist anspruchsvoll, die Ausdrucksweise für unsere heutige Zeit teilweise mittlerweile ungewohnt und doch zieht das Werk magische Kreise um sich.
Worum geht es?
Die Protagonistin ist O, ansonsten namenlos, die von ihrem Partner in einem geheimnisvollen Schloss abgeliefert wird. Er überlässt sie den dortigen Männern, deren Gelüsten und Erziehung mit der Peitsche. O leidet, wird gedemütigt, gequält, doch auch gehorsamer. Es ist die Liebe zu ihrem Partner, dessen Glück, das sie sieht und spürt, was sie zum Durchhalten bewegt, was sie Stolz empfinden lässt.
Doch zurück im Alltag dauert es nicht lange und O wird als Geschenk einem alten Freund ihres Partners offeriert. Jetzt gehört O zwei Männern, die sich an ihr ausleben. Doch mehr und mehr verrutscht das Verhältnis in Richtung Sir Stephen. Er macht sie sich zu eigen, formt sie und schließlich wird sie als Eigentum markiert. O findet Freiheit in der Gefangenschaft.
Charaktere mit Ecken und Kanten
Nachdem man die letzten Zeilen des Werkes gelesen hat, atmet man schwer. Das heutige Ende ist zensiert, unsere O darf nach Roissy zurück, doch das ursprüngliche Ende sah ein anderes Ende für die junge Frau vor. Hier verlässt Sir Stephen sie. Sie zerbricht, möchte nicht ohne ihn leben und er erteilt seine Erlaubnis für diesen Wunsch. O gehört mit Leib und Seele einem Mann und es ist genau diese Hingabe, diese vollkommene Existenz, die nur dazu dient ihm zu dienen, ihn zu beglücken, ihm Befriedigung zu verschaffen, welche bis heute als höchste Form eines Bottoms gilt. Freiheit durch ein Halsband erlangen.
O gibt sich selbst völlig auf, lässt alles mit sich geschehen, leidet, liebt, fürchtet sich und es scheint mir fast als wäre sie die meiste Zeit allein und einsam. So sehr ich die Protagonistin bewundere, so sehr verachte ich sie auch. Ihre sadistische Ader, der Wunsch auch andere leiden zu sehen, seinen Teil dazu beizutragen, dass es auch anderen so ergeht wie ihr, diesen Charakterzug empfinde ich als widerlich. O ist nicht die reine, zerbrechliche Seele und sie genießt ihre Strafen nicht, sie leidet und sie wünscht dieses Leid auch anderen. Manchmal habe ich das Gefühl sie selbst ist ihre größte Bestrafung.
Ihre große Liebe lässt sie zurück – schutzlos, ausgeliefert und ergötzt sich daran. Ich empfinde ihn als schwach und kann O in ihren Gefühlen für ihn nicht nachvollziehen. Sir Stephen hingegen ist ihr Herr, der auf sie Acht gibt, doch nicht die Liebe empfindet, was O darunter versteht. O wird als Eigentum geliebt, dennoch kann ich für ihn mehr Sympathie aufbringen und vor allem Respekt.
Doch das wahre Juwel der Geschichte ist für mich Natalie, die aus sich selbst heraus für die Aufgabe eines Bottoms brennt. Hier ist kein Zwang nötig, der Diamant muss nur erkannt und erzogen werden und nicht gebrochen.
Pauline Réage hat sich bei ihren Protagonisten für unvollkommene Charaktere entschieden, die ein spannendes Zusammenspiel ergeben. Für mich ist die „Geschichte der O“ allerdings zu viel Zwang und Leid, zu viel Einsamkeit, zu wenig Fürsorge und Schutz. Die eigene Selbstaufgabe für nur wenige Augenblicke vollkommenes Glück wie es O als Käuzchen empfindet, ist mir ein zu hoher Preis.
Schöne Ideale, schöne Ideen und mit Sicherheit sorgen sie für Aufsehen, doch für mich ist es nicht das Maß, dass ich an einen Bottom legen würde, denn wer mit solchem Maß misst, sollte auch an den Top Forderungen stellen, die hier fast in Gänze unerfüllt bleiben. Dennoch eine lesenswerte Lektüre für Kinkster, die die heutige BDSM Welt damit ein wenig besser nachvollziehen können.
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Cover: © LangenMüller