Sex sollte allen Beteiligten Spaß machen. Er sollte erfüllend sein und befriedigend und niemals wie eine notwendige Pflicht. Dass Sex schamfrei und lustorientiert erlebt werden kann, daran und dafür arbeitet Britta Kunze. Wir haben Ihr einmal einige Fragen rund um das Thema Sex und Spaß beim Sex gestellt.

Wer ist Britta Kunze?

Britta Kunze ist Online Sexcoachin, Paartherapeutin und zertifizierte Sexological Bodyworkerin und Gründerin des SEXLOVESME-Mentoringprogramms. In den vergangenen 10 Jahren hat sie in der Einzelarbeit und in Workshops hunderten von Männern, Frauen, Transgender - Singles sowie Paaren - in eine schamfreie und lustorientierte Sexualität verholfen. Wenn sie gerade keine Klient*innen dabei unterstützt, ein mind-blowing Liebesleben zu gestalten, schreibt sie an ihrem ersten Buch, gibt Workshops rund um Sinn & Sinnlichkeit und verbringt mit ihren Kindern und ihrem Partner Zeit in der Natur und auf Reisen.

Weitere Informationen zu Brittas Arbeit findet Ihr auf https://brittakunze.de

 

HiS: Wie erklärst du dir, dass so viele Frauen beim Sex nur wenig Spaß haben und sich dabei nicht richtig fallen lassen können?

Ich versuche mich kurz zu halten, aber es gibt 3 Faktoren, die den meisten Menschen auf den ersten Blick nicht so bewusst sind, die aber definitiv dazu führen, dass für viele Frauen Sex und Spaß nicht automatisch verknüpft sind.

1) Frauen und die weibliche Sexualität wurden in den großen Weltreligionen über Jahrtausende dämonisiert und unterdrückt und alleine auf die Fähigkeit, Nachkommen zu gebären, reduziert. Daraus resultieren tief liegende Glaubenssätze, dass die eigene Lust sündig, falsch oder sogar gefährlich ist. Schuld, Schamgefühle und Angst sind die absoluten Gegenspieler von Entspannung, Lust und Ekstase.

2) In der Art und Weise, wie Sexualität in den meisten Kulturkreisen auch noch heutzutage vorgelebt wird, steht die männliche Lust im Vordergrund: Vermeintlich spontan auftretend, visuell orientiert, penetrativ und orgasmusfixiert. Viele Frauen mit denen ich arbeite, gehen beim Paarsex mit einem Mann in die dienende Haltung und sind vornehmlich auf den Spaß und Höhepunkt des Partners bedacht. Wenn ich beim Sex meine eigenen Körperempfindungen und Bedürfnisse nicht priorisiere, sondern mir stattdessen Gedanken mache, ob ich alles richtig mache, gut ausschaue und mein Gegenüber eine richtig geile Zeit hat, dann hat das automatisch mehr mit "Stress haben" als mit "sich fallen lassen" zu tun.

3) Sexuelle Bildung und Erziehung, sei es in der Familie oder Schule, sind nach wie vor mangelhaft und vornehmlich auf Themen wie Krankheit, Dysfunktion und Verhütung statt auf Lust, Verbindung und Kommunikation fokussiert. Eine positive und respektvolle Herangehensweise an Sexualität, die sich auf Aspekte wie emotionale Sicherheit, körperliches Wohlempfinden, Lust, Selbstverantwortung und die Vielfalt von sexuellen Bedürfnissen verschiedener Menschen konzentriert, ist immer noch KEIN Alltag. Folglich fehlen vielen Frauen beim Sex das Wissen und die Worte, sich mitzuteilen.

 

HiS: Viele Frauen haben sich damit arrangiert, beim Sex „einfach nicht kommen zu können“. Gibt es das wirklich oder kann jede Frau daran etwas ändern?

Es ist nie zu spät für ein erfülltes und orgasmisches Liebesleben! Gerade hat mir eine Klientin, die Mitte 40 ist und bereits über 15 Jahre verheiratet war und in ihrer Ehe regelmässig Sex hatte geschrieben, dass sie ihren ersten Orgasmus beim Paarsex erlebt hat. Nach nur 2 Monaten gemeinsamer Zusammenarbeit!

Mit der bewussten Auflösung emotionaler und körperlicher Blockaden, dem richtigen Wissen und einer Portion Neugier und Mut, die eigene Sexualität neu zu gestalten, kann jede Frau lernen, so vielfältig und oft zu kommen, wie sie will.

 

HiS: In deinen Coachings geht es ja um sehr intime Themen. Wie muss man sich so ein Coaching bei dir vorstellen?

Entweder kommen Menschen, mit dem Schmerz, dass in ihrem Sexleben etwas total schief läuft oder mit der Neugier, dass da noch viel mehr Vielfalt und Genuss möglich ist.

Gerade weil es um so intime Themen wie Selbstbild, Versagensängste, Traumata, Sprachlosigkeit, Unlust, Sehnsüchte, geheime Fantasien oder animalische Geilheit geht, gibt es bei mir immer ein Kennenlerngespräch, bei dem wir beide schauen, wie es sich zwischen uns anfühlt.

Ich unterstützte Menschen dabei, mit sich selbst in einen ganz tiefen Kontakt zu kommen. Das funktioniert auf der Beziehungs- und Vertrauensebene nur, wenn auch ich als Mentorin Kontakt zulasse.

Als Coachingformate biete ich ein mehrmonatiges einzigartiges Gruppenmentoringprogramm oder eine intensive 1:1 Zusammenarbeit an. Auch das Einzelcoaching mit mir dauert in der Regel 3 Monate, da ich aus langjähriger Erfahrung weiss, dass wirkliche Veränderung Zeit braucht.

Zu Beginn schaue ich mit meinen Klient:innen, wo sie aktuell in ihrem Lebensleben stehen, was ihr Wunsch und konkrete Ziele sind und bespreche gemeinsam die Schritte dahin. Dabei fusst mein Coaching auf den 4 Säulen Körperpräsenz, Gefühlsarbeit, Sex-Mindset und Kommunikation.

Das heisst ich helfe meinen Klient:innen, sich im eigenen Körper extrem gut auszukennen, ihre Gefühle und Lust als Kompass für ihre Bedürfnisse zu nutzen, eine sexpositive und wachstumsorientierte innere Haltung einzunehmen und Nähe, Sinnlichkeit und Eros in der Beziehung zu sich und zu anderen spielerisch zu erforschen. 

 

HiS: Gibt es für jedes Paar eine Lösung oder gibt es auch Paare, bei denen es im Bett trotz funktionierender Beziehung einfach nicht passt?

Ich glaube, dass Menschen sich wahnsinnig lieben können, aber nicht zwangsweise ein "einfaches" sexuelles Match sind. Solange es auf beiden Seiten eine große Bereitschaft gibt gemeinsam mit Intimität, Lust und Sexualität zu experimentieren, finden sich oftmals Erfahrungsräume, die beiden gefallen. Nichts desto trotz gibt es die Ebenen von anatomischer und erotischer Passgenauigkeit, die die Paarsexualität erleichtern oder auch erschweren können.

 

HiS: Oft wird diskutiert, ob es einen „vaginalen Orgasmus“ wirklich gibt, oder ob dieser eigentlich ebenfalls durch die Nerven der Klitoris ausgelöst wird. Was kannst du dazu sagen?

Laut aktuellem Wissensstand gibt es mehrere Nerven bzw. Nervenbahnen deren Stimulation Orgasmen auslösen kann. Eine davon liegt an der Klitoris (Nervus pudendus), eine (bzw. mehrere) im Gewebe von Vagina + Beckenboden (Nervi pelvici), dann gibt es noch den Nervus hypogastricus mit einhergehenden Nerven, der Blase und Gebärmutter + Vagina versorgt und zuletzt den Vagusnerv, der u.a. ventral - also an der Vorderseite des Körpers bis zum Muttermund (Zervix) reicht.

Beim Erleben eines vaginalen Orgasmus oder Zervix-Orgasmus werden also teilweise oder auch komplett andere Nervenverbindungen angesprochen als bei dem ausschliesslich klitoral ausgelösten Feuerwerk.

Es gibt demnach verschiedene Orgasmen, die sich unterschiedlich anfühlen! Manche davon funktionieren sogar komplett ohne genitale "Ansprache", so wie beispielsweise Brustorgasmen, Energieorgasmen oder über Muskelkontraktion ausgelöste Coregasms.

 

HiS: Hast du eine Erklärung dafür, warum viele Frauen ihren Körper und ihre Lust gar nicht richtig kennen?

Wie in meiner Antwort zur ersten Frage ausgeführt, sind die allermeisten von uns im Bezugsrahmen einer sexnegativen Kultur aufgewachsen. Unabhängig vom biologischen Geschlecht wurden die wenigsten meiner Klient:innen in der Kindheit und Jugend aktiv ermutigt, sich unbeschwert und lustvoll mit ihrem Körper, ihrer Nacktheit und ihrem individuellen Ausdruck von Eros und Sexualität zu befassen, geschweige denn hatten wir Vorbilder, die uns eine selbstbestimmte Sexualität oder auch lustvolle und intime Paarsexualität vorgelebt und gelehrt haben.

In ihrem absolut lesenswerten Buch "Komm, wie du willst" benutzt die Sexualwissenschaftlerin Emily Nagoski das Sinnbild eines Gartens, um zu erklären wie Gesellschaft, religiöse Moral und Umfeld unsere Sexualität beeinflussen. Unser Garten der Sexualität wird ab unserer Geburt von vielen fremden Händen gestaltet und bestellt. Und es braucht als Erwachsener viel Zeit, Kraft und Unterstützung, um altes Unkraut zu beseitigen und den eigenen Lustgarten vielleicht komplett neu zu bepflanzen und zur Blüte zu bringen.

Oben drauf gibt es noch diesen ganzen medialen Druck bezüglich Körper, Aussehen und Performance. Wenn ich meinen Körper immer nur von aussen beurteile anstatt ihn von innen zu bewohnen, wird's ganz schwierig mit der Lust!

Die gute Nachricht ist:

Wenn du diesen Artikel liest, bist du erwachsen genug, deine sexuelle Zufriedenheit in die Hand zu nehmen! Du kannst heute anfangen dich weiterzubilden, du darfst unabhängig von deinem Alter und Aussehen deine körperliche Lust zur Prio machen und es ist völlig okay, wenn dein Solo- oder auch Paarsexualität sich ab sofort ganz anders entwickelt, als das erlernte Bild von Sexualität, das du in deinem Kopf trägst.

 

HiS: Man hat oft den Eindruck, dass Männer solche Probleme nur sehr selten haben. Suchen auch viele Männer deinen Rat und mit welchen Problemen kommen sie beispielsweise zu dir?

Männer haben genauso ein Bedürfnis nach Nähe, Anerkennung, Liebe und Sinnlichkeit und einer entspannten und erfüllten Sexualität. Auch sie leiden unter Unwissen, Leistungsdruck, vorherrschenden Rollenbildern und dem Gefühl sich selbst und ihren Partner:innen beim Sex nicht gerecht zu werden.

Männer suchen meinen Rat genauso wie Frauen.

Nur hat die Kultur den Männern eingeredet, dass sie als die unangefochtenen Sieger aus dem Bett steigen - was auf eine Art den Leidensdruck vielleicht nochmal erhöht.

So gibt es zum Beispiel auch Männer, denen es schwer fällt, einen Orgasmus zu haben oder die in Folge eines sexuellen Übergriffs traumatisiert sind - nur redet da in der Öffentlichkeit kaum jemand drüber!

Probleme in der Sexualität oder intimen Beziehungen sind ja oft nur ein Symptom von einer auf körperlicher oder emotionaler Ebene tiefer liegenden Ursache. D.h. wenn jemand mit Pornosucht, sexuellen Ängsten, erektiler Dysfunktion oder fehlender Libido auf mich zukommt, begebe ich mich gemeinsam mit dem Klienten auf Spurensuche.

 

HiS: Was macht dir an deiner Arbeit am meisten Spaß?

Einerseits bin ich wahnsinnig neugierig und liebe es, mit meinen Klient:innen auf Spurensuche zu gehen. Die Sexualität und erotische Blaupause eines jeden Menschen ist wie ein komplexes Geheimnis, das es zu entschlüsseln gilt. Und natürlich ist es aufregend und befriedigend, wenn meine Klient:innen durchstarten und plötzlich von mehr Lust, Lebendigkeit und Intimität in ihrem Liebesleben berichten.

Andrerseits liebe ich auch den Tiefgang, den die Beschäftigung mit der menschlichen Psyche und Sexualität mit sich bringt. Das facettenreiche Spektrum von tiefstem Schmerz und Alleinsein in höchste Ekstase und Verschmelzung fasziniert mich.

 

HiS: Würdest du dir rückblickend wünschen, du hättest dein „neues Ich“ schon früher gefunden, oder glaubst du, du brauchtest die Zeit davor und den tiefen Fall, um an den Punkt zu kommen, an dem du nun stehst?

Natürlich gibt es Momente, wo ich mir wünschte, ich hätte schon mit 18 Jahren den Mut gehabt meiner Neugier auf "das Sex-Thema" zu folgen. Ich glaube inzwischen, dass unsere größten Ängste und Sehnsüchte oft die Wegweiser zu unserem "wahren Ich" sind. Rückblickend spüre ich eine Wut darüber, meine 20iger mit depressivem Rumgeschlumpfe und Beziehungen + Inhalten verschwendet zu haben, die mich nicht wirklich erfüllten.

Mein persönliches Learning daraus ist: Wenn sich dein Leben (und Liebesleben) nicht wirklich geil anfühlt, dann solltest du die Schuld nicht bei dir suchen, sondern lieber losziehen bis du etwas findest, was sich richtig, aufregend und gut anfühlt.

Bei vielen Menschen birgt ein absoluter Tiefpunkt (z.B. Krankheit, Trennung etc.) die Chance auf einen Umbruch und radikalen Neuanfang. An der Stelle bin ich natürlich super dankbar in dem Moment, wo bei mir mit Anfang 30 das gesamte Kartenhaus schmerzlich zusammenfiel, nicht den Weg in die Psychiatrie, sondern ins Coaching gefunden zu haben.

Meine damalige Mentorin hat mir aufgrund ihrer unkonventionellen und inspirierenden Art als erster Mensch eine Tür geöffnet, authentisch ich zu sein.

Ihre Art zu Arbeiten trage ich mit Fokus auf die Themen Sexualität + Partnerschaft weiter.

 

HiS: An welchem Punkt muss man ansetzen, um grundlegend etwas an den Problemen im Sexleben zu ändern?

Was wirklich hilft, ist eine ganzheitliche Sicht.

Die meisten Probleme im Sexleben haben etwas mit Problemen auf der Intimitätsebene zu tun. Um eine intime Beziehung mit dir selbst und anderen aufzubauen, brauchst du Selbst-Bewusstsein. Damit meine ich, dass du in der Lage bist präsent mit deinen Körperempfindungen und Gefühlen zu sein und nicht alles glaubst, was dein Verstand dir sagt.

Die Art, wie du mit dir selbst und mit anderen kommunizierst, bestimmt die Qualität deiner Beziehung(en) und auch deiner Fähigkeit Sex so zu gestalten, dass er sich lustvoll und stimmig anfühlt.

Natürlich hilft auch Wissen zu Beziehungsdynamiken, Sexualität, Lust, Anatomie und Sex-Techniken.

Aber die Grundlage bilden deine innere Haltung, deine Körperpräsenz und deine Fähigkeit, Gefühle und Bedürfnisse mutig und authentisch mitzuteilen.

 

HiS: Würdest du zum Schluss unseren Lesern einen kleinen Tipp mit auch den Weg geben, wie sie an ihrem Selbstwertgefühl arbeiten können?

Sei es dir selbst wert, Unterstützung von Menschen in Anspruch zu nehmen, die in diesem komplexen Thema weiter sind, als du.

Von denen du das Gefühl hast, dass sie selbstbestimmt lieben und leben, die ihren Körper unabhängig von ihrem Aussehen bewohnen und die etwas in die Welt geben, das sie mit Freude und Begeisterung erfüllt. Die sowohl Geld als auch Güte besitzen. Diese Menschen haben ihren Selbstwert gefunden. Und sie sind in der aktuellen perfektionistischen Leistungsgesellschaft eher die Ausnahme, als die Regel!

 

 

Weitere Informationen zu Brittas Arbeit findet Ihr auf https://brittakunze.de

Das Interview wurde per Mail geführt, vielen Dank für die ausführlichen Antworten.

 

Foto: © Elisabeth Mochner

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