Es ist Samstag. Obwohl es mitten im Sommer ist, regnet es. Die Luft ist kühl und ich mache es mir auf meinem Sofa gemütlich. Eigentlich der einzige Ort an dem man bei solch einem Wetter sein sollte. Wirklich Etwas zu tun, gibt es nicht, weswegen ich mich auf verschiedenen Plattformen im Netz herumtreibe. Alles ist irgendwie nicht spannend. Also schaue ich, wer gerade online ist.

 

 

Hallo Nachbar

Wenige Minuten später habe ich einem Profil, das direkt aus der nahen Umgebung ist, geschrieben und dem Fastnachbarn „Hallo“ gesagt. Ich habe keine Erwartungen, mir ist langweilig und gegen ein bisschen Unterhaltung hätte ich nichts. Es blinkt und eine Antwort kommt zurück. Wir beginnen zu schreiben. Erst über Dies und Das, doch dann wird es ein wenig konkreter und mit einem Mal hat der Chat meine ganze Aufmerksamkeit. Ich merke erst, wie spät es geworden ist, als es in meinem Wohnzimmer dunkel ist und die Uhr anzeigt, dass wir bereits seit 8 Stunden schreiben. Ich bin selbst erstaunt und gehe nach einer kurzen Verabschiedung ins Bett.

Am Sonntagmorgen dauert es nicht lange nach dem Aufwachen, bis ich nachschaue, ob eine neue Nachricht gekommen ist und tatsächlich, da wartet bereits eine auf mich. Damit das nicht nochmal so im Schreibwahn ausartet, schlägt er vor am Abend doch zu telefonieren. Ich glaube nicht daran, dass wir uns nochmals so viel zu erzählen habe und sage zu. Kurz bevor ich den Anruf erwarte, erkläre ich einer Freundin, dass ich mich in einer guten halben Stunde bei ihr melden werde, dann klingelt das Telefon. Eine markante und tiefe Männerstimme ist am Apparat und ich finde sie auf Anhieb sympathisch.

Mein Handy summt und meine Freundin fragt, ob ich denn jetzt für unser Telefonat Zeit habe. Ich verneine, nach einigen Nachrichten gibt sie es auf und verschiebt das Gespräch auf den darauffolgenden Tag. Der Unbekannte und ich lachen und unterhalten uns, die Chemie passt erstaunlich gut. Meine Ohren glühen und ich bin langsam erschöpft. Sechs Stunden hat unser Telefonat letzten Endes gedauert und nicht einen Augenblick gab es eine unangenehme Stille. „Verrückt“, denke ich noch beim Einschlafen.

Wir bleiben in Kontakt und sind uns beide einig, dass wir uns persönlich kennenlernen wollen. Schnell sind ein Termin und ein Ort gefunden.

 

Einmal rundherum

Am Tag des Treffens bin ich viel zu früh vor Ort und warte. Verstohlen beobachte ich jedes Auto, das auf den Parkplatz fährt, bis es sein Fahrzeug zu sein scheint. Ich bin nervös und spüre, wie ich nach unseren Gesprächen jetzt doch Erwartungen hege. Ob die Chemie auch persönlich stimmt?

Ein schüchternes „Hallo Nachbar“, und ich sehe in strahlende Augen und ein breites Grinsen als er mich anschaut. Er plaudert direkt locker darauf los und wir beginnen mit unserem geplanten Spaziergang. Mir steigt der Duft seines Parfüms in die Nase. Es ist männlich, herb und ich mag den Geruch. Ich fühle mich in seiner Nähe sicher und gut aufgehoben und schnell zeigt sich, dass auch hier die Chemie stimmt.

Wir lachen als wir die nächste Runde um den See beginnen. Wie oft sind wir denn jetzt schon darum gelaufen? Ich habe keine Ahnung, doch es ist dunkel als wir zum Parkplatz zurückkehren. Zum Abschied nimmt er mich in den Arm und drückt mich fest. Es ist fremd ihn so nah zu spüren, doch schließe ich meine Augen und höre seine Stimme, ist alles vertraut. Ein verwirrendes Gefühl, das ich noch nicht zuordnen kann.

Wenige Tage später steht ein gemeinsames Abendessen auf dem Plan. Er wartet bereits ganz in schwarz gekleidet auf dem Parkplatz vor dem Lokal und ich denke mir nur „Wow, sieht er gut aus!“ als ich auf ihn zulaufe. Wieder steigt mir der vertraute Geruch in die Nase und ich spüre seine große, warme Hand, die meine umschließt.

Wir setzen uns in dem niedlichen Lokal gegenüber und bestellen. Ungeniert probieren wir beim anderen und futtern und eigentlich passt auch nichts mehr in mich, dennoch bestellen wir uns einen Nachtisch, den wir schließlich gemeinsam auslöffeln.

Ich fühle mich gut, ich spüre ein leichtes Kribbeln und ich kann nicht glauben, was aus einem unbedeutenden „Hallo Nachbar“ entstehen kann, dieser Mann fasziniert mich und ich bin bereit mich in seine Hände zu begeben.

 

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